Über die digitale Edition
About the digital edition
Dynastien als spezifische historische Familienformen stellten in hohem Maße soziale Konstruktionsleistungen dar. Erst allmählich reift jedoch die Erkenntnis, dass dieses Konstruieren, das „doing dynasty“, keine rein männliche Angelegenheit war, wie ältere Forschungen stets nahelegten. Frauen hatten daran selbstverständlich Teil, waren gewöhnlich deutlich mehr als die gern zitierten „verkauften Töchter“. Wie sich diese dynastische Agency von hochadeligen Frauen gestaltete, dazu ist allerdings noch wenig bekannt. Genau darauf fokussiert das Projekt, das in inhaltlicher Hinsicht Fragen beantworten möchte wie: Welche Handlungsfelder standen einer Fürstin im Kontext dynastischer Beziehungen zu? Wie und unter welchen Bedingungen konnten diese genutzt werden? Wenn eine verehelichte Fürstin zwei „Dynastieräsonen“ unterlag, welche Folgen hatte das für ihr aktives Handeln? Mit welchen rhetorischen und argumentativen Strategien verfolgte eine Fürstin Ziele?

Naheliegend ist, dass eine dynastische Eheverbindung allein nicht ausreichte, um stabile politische Beziehungen zweier fürstlicher Häuser zu begründen; diese wurden erst durch das fortwährende Interagieren entlang alter und neuer verwandtschaftlicher Beziehungen geschmiedet. Aber wie entwickelten sich derartige Allianzen auf längere Sicht – was passierte im Alltag solcher Beziehungen jenseits des Kulminationspunktes der Eheschließung? Wer partizipierte daran, welche Themen und Schwerpunkte lassen sich in der innerdynastischen Kommunikation festhalten? Welche Umstände beförderten das Potential einer dynastischen Verbindung, welche verhinderten seine Umsetzung? Ausgangspunkt für die Beantwortung dieser und ähnlicher Fragen ist ein bislang kaum bekannter und nicht genutzter Quellenbestand: die eigenhändige Korrespondenz zwischen Kaiserin Eleonora Magdalena von Pfalz-Neuburg und ihrem Vater Philipp Wilhelm (seit 1685 Kurfürst von der Pfalz) bzw. ihrem ältesten Bruder Johann Wilhelm von Pfalz-Neuburg (seit 1690 Kurfürst). Die Korrespondenz erstreckt sich über die Jahre 1677 bis 1716 und umfasst 5.300 Seiten bzw. fast 2.000 Briefe. Damit bietet der Bestand die für das Haus Habsburg in der Frühen Neuzeit einmalige, für das Heilige Römische Reich seltene Gelegenheit, dem dynastischen Agieren einer hochrangigen Fürstin zwischen ihren Familien intensiv nachzugehen.
Die Ermittlung dieser Überlieferung, die sich
hauptsächlich in den Beständen des Bayerischen Hauptstaatsarchives
München befindet, war Ausgangspunkt für die Erstellung einer umfassenden digitalen Edition
der Korrespondenz
der Kaiserin Eleonora Magdalena von Pfalz-Neuburg. Dieses Vorhaben wurde als Forschungsprojekt
Familiensache
von September 2021 bis Ende 2024 durch den Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung
gefördert und war am Institut für die Erforschung der
Habsburgermonarchie und des Balkanraumes der Österreichischen Akademie der
Wissenschaften angesiedelt. Zentral für die Beantwortung der genannten Fragen war es zunächst,
die umfangreiche und nur ansatzweise chronologisch geordnete Überlieferung über Transkription
und systematische
Erschließung überhaupt verfügbar zu machen. Geplant war dabei von Anfang an, gleichzeitig
das Material in Bild und
Transkription für alle Interessierten digital verfügbar und durch Abfragetools durchsuchbar
zu machen.
Der weitere Aufbau und die Vervollständigung dieser derzeit in Beta-Version laufenden
digitalen Edition
werden durch das ab August 2025 bis Juli 2028 laufende, ebenfalls FWF-geförderte Projekt
Netzwerke und weibliche Handlungsmacht realisiert.
Derzeit im Volltext verfügbar sind die eigenhändigen Briefe der Kaiserin an Vater
und Bruder;
deren Antwortbriefe werden als Digitalisat angeboten und wurden im ersten Forschungsprojekt
durch Kurzregesten erschlossen.
Wir haben darüber hinaus gesicherte Metadaten für alle Schriftstücke erstellt, wodurch
eine chronologische Reihenfolge
und damit der Ablauf der Korrespondenzen ebenso erschlossen ist wie die Zuordnung
von Beilagen und flankierender Überlieferung.
Eine vertiefte Erschließung durch die Identifizierung von Orten, Personen und Institutionen,
die Erwähnung finden,
sowie die inhaltliche Kommentierung konnte bislang für einen Teil der Briefe geleistet
werden und wird derzeit
umfassend erweitert. Der Bestand an edierten Briefen wird im laufenden Projekt ebenso
erweitert, durch die
Transkription der chiffrierten Schreiben Johann Wilhelms von Pfalz-Neuburg, die bislang
in der vorliegenden
Edition nur in Form von Regesten erschlossen wurde. Der Download der edierten Schriftstücke
soll demnächst über
das derzeit mögliche XML-Format hinaus auch im leserfreundlichen PDF-Format ermöglicht
werden.
Genauer untersuchen werden wir auf der Basis der überlieferten Briefe dann auch das
Ego-Netzwerk der Kaiserin.
Geplant sind hier auch interaktive Visualisierungen, die die Edition ergänzen sollen.

Dynasties as specific historical family formation were, to a large extent, social constructions. However, an awareness of this construction, the so-called “doing dynasty,” as something beyond a purely male affair (as was usually assumed in older research) is only recently gaining traction. While women did take part in it, frequently beyond their often-cited role as “sold daughters,” we know very little about how women of high nobility exercised their dynastic agency. This is precisely the focus of this project, which aims to answer questions such as: What fields of action were available to princesses in the context of dynastic relations? How and under what conditions could these be utilized? If a married princess was subject to two subject to the interests of two dynasties what consequences did this have on her behavior? What rhetorical and argumentative strategies did a princess use to pursue her goals?

Naturally, dynastic marriages alone were insufficient in establishing stable political relations between two princely houses; these were only forged through ongoing interactions along old and new kinship lines. But how did such alliances develop in the longer term? How did people interact on a day-to-day basis within such relationships beyond the culmination point of marriage? Who participated, and what themes and focal points can be identified in intra-dynastic communications? What circumstances promoted the potential of a dynastic union or prevented its realization? The starting point for answering these and similar questions is a hitherto little-known and underutilized source: the handwritten correspondences between Empress Eleonora Magdalena of Pfalz-Neuburg and her father Philipp Wilhelm (Elector Palatine from 1685 to 1690) and her eldest brother Johann Wilhelm of Pfalz-Neuburg (Elector Palatine from 1690 to 1716). These correspondences span the years 1677 to 1716 and comprise 5,300 pages or approximately 2,000 letters. Thus, the collection offers an opportunity to examine the dynastic activities of a high-ranking princess that is unique for the House of Habsburg in the early modern period and rare for the Holy Roman Empire, more generally.
The investigation of these records, which are primarily housed at the Bavarian State
Archives in Munich, was the starting point for the application for this research
project. This project is funded from September 2021 to the end of 2024 by the
Austrian Science Fund (FWF) and is based at the Institute for Habsburg and Balkan
Studies of the Austrian Academy of Sciences. The key to answering the above
questions was to initially make the extensive and rudimentarily organized records
accessible through transcription and systematic indexing. From the outset, the plan
was to make these sources digitally available through images and transcriptions and
searchable by the use of query tools for researchers and the interested public. But,
due to the extensive number of letters and the project’s limited duration, a more
incremental approach has been necessary. Currently, only the Empress’s handwritten
letters to her father and brother are available in image and full text, while scans
of their replies are merely accompanied by short summaries. Additionally, we have
created secure metadata for all the documents, making it possible to establish their
chronological order and, thus, the sequence of the correspondences, as well as
allocating enclosures and other accompanying documents. These, however, can only be
found to a limited extent in the fascicles in which the correspondences are
preserved. So far, annotations and content-related commentaries have been provided
for persons, places, and institutions in only some of the letters. This is to be
significantly expanded in the second phase of the project.
